1287
starb in Basel Meister Konrad von Würzburg, der bedeutendste deutsche
Dichter seiner Zeit. Sein Sängerkollege Frauenlob (Meister Heinrich von
Meissen, gestorben 1318), auch er von nichtadligem Stand, bedauert in
einer über-schwenglichen Totenklage, daß mit dem "halt von Wirzeburc"
die Kunst selber ins Grab gesunken sei. Der Spruchdichter Boppe
(gestorben 1320) bittet Gott um das Seelenheil für den "erwelten
meister wert", den Barthel Regenbogen (gestorben nach 1318) "den wisen"
nennt. Lüpold Hornburg räumt Konrad noch um 1350 den Spitzenrang unter
den sog. "zwölf alten Meistern" ein, zu denen er immerhin Wolfram,
Reinmar und Neidhart zählt: "uf kunst der aller beste was von wirzeburg
meister Cunrad". Dank dieser Emporstilisierung zu einem der zwölf
legendären Begründer des Meistergesangs überdauerte Konrads Ruhm drei
Jahrhunderte: Noch die späten Meistersinger pflegten seine Töne. Doch
danach geriet er in Vergessenheit.
Während die sogenannte
"staufische Klassik" (um 1180 bis etwa 1220) der Hartmann von Aue,
Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und Walther von der
Vogelweide seit dem 19. Jahrhundert Eingang in Lesebücher und
Nationalgefühl gefunden hat, trat das so umfangreiche wie vielseitige
Werk des bürgerlichen Gelehrten Konrad kaum je aus Studierstuben und
germanistischer Fachliteratur heraus. Überdies blieb er bis heute mit
dem Stigma des Epigonentums sowie manierierter Formkunst behaftet. Sein
durchaus zeittypischer Opportunismus - wirt schaftliche
Grundvoraussetzung für den wohl ersten bürgerlichen Berufsdichter
deutscher Zunge -, sein ausgesprochener Hang zur Lehrhaftigkeit, seine
politische Zurückhaltung sowie eine generelle Geringschätzung der
nachstaufischen Umbruchszeit durch die nationalistisch gefärbte
Geschichtsschreibung mögen für diesen Ansehensverlust verantwortlich
gemacht werden.
Der krasse Wertungsunterschied erstaunt um so
mehr, als sich der Generationenund Epochenwechsel zwischen Walther von
der Vogelweide und Konrad in Würzburg gewissermaßen lokalisieren
lassen. Gemäß einem nicht unglaubwürdigen Eintrag im Hausbuch des
Würzburger Notars Michael de Leone (darin ist übrigens auch Hornburgs
Sängerkatalog überliefert) soll Walther nämlich im Neumünster zur
Würzburg begraben sein, just in jenem Stift also, wo Konrad am
wahrscheinlichsten die Schulbank gedrückt hat.
Vielleicht nach
einem Umweg über den Niederrhein und Straßburg dürfte Konrad um 1260
nach Basel übersiedelt sein, wo er seine außergewöhnlich gut bezeugten
Auftraggeber fand: In der prosperierenden Bischofsstadt dichtete er für
geistlichen wie weltlichen Adel, für reiche Bürger und auch für
untereinander verfeindete Mäzene.
Anders als in Zürich, wo sich
wenig später im sogenannten "Manessekreis" ein ausgeprägtes Interesse
für Lyrik artikulieren sollte, war in Basel eher eine "epische
Situation" gegeben. Konrads literaturgeschichtlicher Stellenwert ist
denn auch - qualitativ wie quantitativ - durch sein umfangreiches
episches Werk von über 85.000 erhaltenen Versen geprägt. Wie kein
zweiter Dichter des deutschen Mittelalters meisterte Konrad dabei fast
das gesamte Gattungsrepertoire zeitgenössischer Epik: Legende,
Marienpreis, Märchenroman, antikisierendes Epos, Minnenovelle und -
möglicherweise - sogar den derben Schwank.
Doch auch an seiner
Lyrik erweist sich die Vielseitigkeit des Spruch- und Minnedichters,
und dies besonders am "Hofton". Dieser Melodie, die mit erheblichen
Unterschieden in der Jenaer Liederhandschrift (einer
Spruchdichtungssammlung aus der Mitte des 14. Jahrhunderts) und der
Kolmarer Meisterliederhandschrift (um 1450) überliefert ist, hat Konrad
die unterschiedlichsten Strophen unterlegt: eine gelehrte theologische
Trinitätsspekulation, einen humorvollen Milte-Spruch in Gestalt eines
Tierbispels ("Ein hövescher hunt"), ein mit Mariensymbolik gespicktes,
"geblümtes" Lobgedicht auf "von Strâzeburc ein Liehtenberger" (wohl der
Straßburger Bischof Konrad III. von Lichtenberg, vermutlicher
Auftraggeber von Konrads Marienpreis "Die goldene Schmiede") und ein
lebensfroh-melancholisches Memento mori ("Mir ist als ich niht lebende
si"). Sogar ein heraldischer Preisspruch auf König Rudolf von Habsburg
folgt dieser hfëlodie. Die Strophe, die Rudolfs Sieg über Ottokar von
Böhmen in der Schlacht auf dem Marchfeld (1278) als Triumph des
Reichsadlers über den böhmischen Löwen feiert, scheint überdies für
Konrads politische Wendigkeit zu sprechen. Zuvor muß der Dichter
nämlich, der als Hausbesitzer an feiner Adresse im Basler Münsterbezirk
urkundlich bezeugt ist, Rudolfs langjährigem Widersacher, dem Basler
Bischof Heinrich III. von Neuenburg, sehr nahegestanden sein. Dieser
streitbare Stadtherr entstammte dem hochadligen Geschlecht der
Fenis-Neuenburg, das schon vor Heinrich zwei bedeutende Basler Bischöfe
und den Minnesänger Rudolf von Fenis hervorgebracht hatte. Als Graf von
Neuchâtel Herr über romanische wie deutsche Gebiete, trug Rudolf von
Fenis um 1190 - gänzlich provenzalischen Mustern und Melodien
verpflichtet - zu jenem klassischen Minnesang bei, dessen
ausgeklügeltes Rollenspiel schon bald von Walther und Neidhart
parodiert werden sollte. Zwei Generationen nach Walther, bei Konrad von
Würzburg, hat sich der Minnesang zum didaktischen Minnespruch gewandelt
(vgl. etwa "Wart ie bezzer iht für ungemüete"): Das Ende des Minnesangs
und die Anfänge des Meistergesangs fallen in Konrad gleichsam zusammen.
Von
den 32 im Wortlaut erhaltenen Tönen Konrads sind uns leider nur drei
mit ihrer Melodie überliefert: Hofton, AspisTon und "morgenwise". Noch
ungünstiger steht es um das Werk seiner Basler Sängerkollegen: Die
Lieder von Graf Walther von Klingen (gestorben 1286), seines
Dienstmannes Bertolt Stemmar und seines wahrscheinlichen
Schwiegersohnes von Gliers sind nur dank der Großen Heidelberger
Liederhandschrift C (der "Manessischen") , die keine Melodien
wiedergibt, auf uns gekommen. Immerhin läßt sich Gölis Sommerlied
aufgrund eines niederrheinischen Fragments rekonstruieren. Dieses
Tanzlied in Neidharts Manier erwähnt einen "Kuonze der weibel" und eine
"vrou 3éle", die sich vielleicht mit dem Basler Stadtweibel (bezeugt
als "Conradus dicto Rifo") und Sibila, der Frau des 1254-1276 in Basel
urkundlich greifbaren Diethelmus Goli identifizieren lassen. Aus den
noch immer spärlichen urkundlichen Nachrichten über die oberdeutschen
Dichter zu Beginn des Spätmittelalters lasen sich nur unscharf
konturierte Lebensbilder umreißen.
Auch über Meister Konrad von
Würzburg selbst kann - trotz seines immensen Oeuvres - nur wenig
Definitives ausgesagt werden. Wie seine Lieder geklungen haben mögen,
versucht diese Aufnahme anzudeuten.
Hansmartin Siegrist
Meister
Konrad von Würzburg, the most important German poet of his time, died
in Basle in 1287. His singer colleague Frauenlob (Meister Heinrich von
Meissen, died 1318), likewise not of noble birth, expresses in an
effusive death lamentation his regret that with the "hero of Würzburg"
("helt von Wirzeburc") the art itself had sunk into the grave. The
medieval author of didactic poetry (Spruchdichter) Boppe (died 1320)
beseeches God for spiritual salvation for "the outstanding and
well-respected master" ("erwelten meister wert"), who was called "the
Wise" ("den wîsen") by Barthel Regenbogen (died after 1318). Even as
late as ca. 1350, Lüpold Hornburg gives Konrad the highest rank among
the so-called "twelve old masters", to which he still included Wolfram,
Reinmar and Neidhart: "the very best art was from Master Konrad von
Würzburg" ("uf kunst der aller beste was von wirzeburg meister
Cunrad"). Thanks to this stylization exalting him as one of the twelve
legendary founders of Meistergesang, Konrad's fame survived three
centuries: his Töne (plural of "Ton" = verse form plus its melody) were
still being used by the late Meistersingers. After this, however, he
sank into oblivion.
While the so-called "Staufen Classic" (ca.
1180 until ca. 1220), represented by Hartmann von Aue, Wolfram von
Eschenbach, Gottfried von Straßburg and Walther von der Vogelweide,
found its way into readers and stirred up patriotic feelings since the
nineteenth century, the so comprehensive and versatile work of the
bourgeois scholar Konrad very rarely found its way out of scholars'
studies and the special literature of Germanists. Furthermore, it
remains bound even today to the stigma of being epigonic as well as
mannered formal art. His opportunism, quite typical for that time and
which was the basic economic prerequisite for perhaps the very first
professional bourgeois poet of the German tongue, his pronounced
tendency towards didactics, his political reserve, and a general
disparagement of the post-Staufen age of radical change generated by a
nationalistically biased view of history may be considered responsible
for this loss of prestige.
The glaring contrast in the
assessment of Konrad is that much more astonishing as it is possible to
a certain extent to pinpoint geographically the generation and epochal
change between Walther von der Vogelweide and Konrad von Würzburg.
According to a by no means dubious entry in the housekeeping book of
the Würzburg notary Michael de Leone (which, incidentally, also
includes the transmission of Hornburg's catalogue of singers), Walther
is supposedly to have been buried in Neumünster in Würzburg, i.e. that
monastery where Konrad most probably attended school.
It was
perhaps after a detour around the Lower Rhine and Strasbourg that
Konrad moved around 1260 to Basle, where he found his extraordinarily
well documented patrons. In the prospering episcopal city he wrote
poetry for ecclesiastical and secular nobility, for the rich bourgeois
as well as for patrons on inimical terms with one another. In contrast
to Zürich, where shortly thereafter the socalled "Manessekreis" (circle
of nobility named after R. Manesse) would articulate a pronounced
interest in lyric, there existed in Basle a somewhat more "epic
situation". Thus, with respect to quality as well as quantity, Konrad's
place in literary history is characterized by his comprehensive epic
works which encompass over 85,000 extant lines. Unlike any other poet
of the German Middle Ages, Konrad mastered in this manner nearly the
entire repertoire of contemporary epic genres: the legend, poetry in
praise of the Virgin Mary, the fairy tale novel, the epos in classical
style, the Minne novella and (perhaps) even the crude comical tale
(Schwank).
Yet, the versatility of the poet of didactic texts
with political or social themes and courtly love songs (Spruchund
Minnedichter) can also be observed in his lyric, especially in the
"Hofton". This melody, which is transmitted with considerable variants
in the Jenaer Liederhandschrift (a collection of Spruchdichtung dating
from the middle of the 14th century) and the Colmarer
Meisterliederhandschrift (ca. 1450), was underlaid by Konrad with the
most varied stanzas: a learned theological speculation on the Trinity,
a humorous poem about generosity (Milte) in the form of an animal fable
(Tierbispel) entitled "A Courtly Dog" ("Ein hövescher hunt"), a
"flowery" poem sprinkled with Marian symbolism in praise of a
Lichtenburger from Strasbourg ("von Strazeburc ein Liehtenberger"; this
refers most likely to the Strasbourg bishop Konrad III von Lichtenberg,
who was presumably the patron of Konrad's poem "Die Goldene Schmiede"
praising the Virgin Mary) and a zesty-melancholy Memento mori "I feel
as if I hadn't lived" ("Mir ist als ich niht lebende si"). Even a
heraldic poem of praise honouring King Rudolf von Habsburg can be sung
to this melody. Furthermore, the stanza which celebrates Rudolf's
victory over Ottokar of Bohemia in the Battle on the Marchfeld (1278)
as a triumph of the imperial eagle over the Bohemian lion might be
considered evidence of Konrad's political adaptability. For at some
point earlier, the poet (who ist recorded as a home owner at a fine
address in Basle's cathedral quarter) must have had very close contact
with Rudolf's long-standing adversary, the Basle bishop Henry III of
Neuenburg. This pugnacious city nobleman belonged to the aristocratic
lineage of FenisNeuenburg which, prior to Heinrich, had brought forth
two significant bishops and the Minnesinger Rudolf von Fenis. As Count
of Neuchâtel, Rudolf von Fenis was lord over Romance as well as German
regions and around 1190, wholly committed to Provencal models and
melodies, he contributed to that classical~ Minnesang whose cleverly
thought-out role-playing soon became the subject of parody for Walther
and Neidhart. Two generations after Walther, in the works of Konrad von
Würzburg, Minnesang underwent a transformation to the didactic
Minnespruch, as exemplified by "Was there ever a better cure for
sadness and melancholy" ("Wart is bezzer iht für ungemüete"). The end
of Minnesang and the beginning of Meistergesang are both represented,
so to speak, in Konrad.
Of the 32 Tone by Konrad whose texts
have been transmitted, there are unfortunately only three with extant
melodies: Hofton, Aspis-Ton and "morgenwise". Even less favourable is
the situation when it comes to the transmission of the works of his
Basle singer colleagues: it is thanks only to the Große Heidelberger
Liederhandschrift C (The "Manessische"), which does not contain any
melodies, that the songs of Count Walther von Klingen (died 1286), his
vassal Bertolt Steinmar and von Gliers (most likely his son-in-law)
have come down to us. All the same, it is possible to reconstruct
Goeli's Sommerlied (Summer Song) on the basis of a Lower Rhine
fragment. This Tanzlied (song accompanying a dance) in the style of
Neidhart mentions a "Kuonze der weibel" and a "vrou Béle", who might
perhaps be identified as the Basle Stadtweibel (documented as "Conradus
dicto Rifo") and Sibila, the wife of Diehelmus Goli, whose presence in
Basle between 1254-1276 can be authenticated. From the sparse
documentation hitherto available concerning the Upper German poets at
the beginning of the late Middle Ages, it is not possible to make more
than indistinct outlines of their biographies.
It is likewise
difficult to say much conclusive about Meister Konrad von Würzburg
himself - despite his immense body of works. An attempt to reconstruct
how his songs may have sounded, however, has been made with this
recording.
Hansmartin Siegrist
(Translation: Beverly J. Sing)