1. Colin MUSET. En mai quant li rossignolet
bandcamp.com
medieval.org
nimmerselich.de
Verlag der Spielleute CD 0402
2004
1. En mai quant li rossignolet [2:41]
Colin MUSET (um 1230), Paris, Bibl. nat. f. fr. 846 (Cansonnier Cangé), fol. 52c
Gesang, Alt-Blockflöte, Laute, Quinterne, Tambourello
2. Los set goyts recomptarem [1:45]
anonym, Katalonien, 14. Jahrhundert, Llibre Vermell de Montserrat
LV 5
Pommer, Drehleier, Laute, Darbuka
3. Ce fut en mai [4:55]
Moniot d'ARRAS (1190-1239), Paris, Bibl. de l’Arsenal 5198 (Chansonnier de l’Arsenal), fol. 135b
Gesang, Laute, Drehleier, Sopran-, Tenorblockflöten, Tambourello, Davul
4. Saltarello No. 4 [4:32]
anonym, Italien (um 1325), London, British Lib. Add. 29987, fol. 63v
Drehleier, Sopranino-Blockflöte, Laute, Darbuka, Zimbeln
5. Der Widerdriess [5:37]
Herr NEIDHART (1180-1245), Berlin, Ms. Germ. 779, S. 171b ff. (um 1450)
Gesang, Laute, Altblockflöte, Tambourello, Davul
6. Dansse Real [1:17]
anonym, Frankreich 13. Jahrhundert, »Ms. Du Roi«, Paris, Bibl. nat. fonds fr. 844c
Einhandflöte und Trommel
7. La tierche Estampie Roial [4:28]
anonym, Frankreich 13. Jahrhundert, »Ms. Du Roi,«, Paris, Bibl. nat. fonds fr. 844c
Pommer, Drehleier, Laute, Portativ, Rahmentrommel
8. Muget ir schouwen [5:01]
Text: Walther von der VOGELWEIDE (1170-1230),
»Codex Manesse«, Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 848
Melodie: »Virent prata«,
Carmina Burana
CB 151 /
trouvère, Paris, Bibl. nat. f. fr. 20050, Gautier d'ÉPINAL
»Quant je voi l’erbe menue«
Gesang, Laute, Quinterne, Rahmentrommel
9. Por mon chief reconforter [2:20]
Gautier de COINCY (1177-1236),
»Les Miracles de Notre Dame«
Dudelsack, Tambourello
10. Ecco la primavera [1:43]
Francesco LANDINI (1335-1397)
Florence, Biblioteca Medicea-Laurenziana, Palatino 87 (Squarcialupi Codex), fol. 135/2
Gesang, Laute, Quinterne, Tenorblockflöte, Tambourello
11. Estampie »Retrove« [4:29]
Anonym, 14. Jahrhundert, »Robertsbridge Codex«, London, BL, Add. 28550, fol. 43v
Pommer, Drehleier, Rührtrommel
12. Das saill [4:37]
Herr NEIDHART (1180-1245), Berlin, Ms. Germ. 779, Blatt. 149b ff. (um 1450)
Gesang, Quinterne, Sopranino-, Sopranblockflöte, Dudelsack, Tambourello
13. Chavalchando chon un giovine achorto [4:39]
Maestro PIERO (um 1340/50), Florence, Biblioteca Nazionale Centrale, Panciatichiano 26, fol. 91
Drehleier, Alt- und Sopranblockflöte, Laute, Portativ, Rührtrommel, Schellen
14. Inter natos mulierum [3:07]
anonym, 14. Jahrhundert, Engelberg, Stiftsbibliothek; Codex Engelberg 314, fol. 137v-138
Tenorblockflöte, Pommer, Portativ, Laute, Rahmentrommel
15. Mandad’ ei comigo [5:28]
Martin CODAX (1230-1270), Cantigas de Amigo
ca II
Gesang, Ûd, Quinterne, Tenorblockflöte, Rahmentrommel
Nimmersêlich
Katharina Hölzel — Blockflöten, Pommer, Einhandflöte
Kathrin Kläber – Gesang, Glocken, Zimbeln
Viola Hänsel — Gesang, Portativ
Sebastian Gomon — Rahmentrommel, Tambourello, Davul, Rührtrommel,
Darbuka, Rahmentrommel
Robert Schuchardt — Drehleier, Quinterne
Martin Uhlig — Laute, Ûd, Dudelsack
Aufnahme: Rundkapelle Knautaundorf (bei Leipzig), März-April 2004
Zwei
Besonderheiten fallen bei diesem Stück auf: Der Autor nennt sich selbst
im Text, und das Stück befasst sich mit der Musik selbst. Verschiedene
Autoren, nicht nur in Frankreich, beschäftigten sich das ganze
Mittelalter hindurch mit der Frage, welche die reine, echte,
anzustrebende Form des Musizierens sei. Wenn viele auch die Sangeskunst
über alles andere stellten, hier geht es um eine Flöte!
2. Los set goyts recomptarem,
Llibre Vermell de Montserrat
Es
ist äußerst selten, dass in einer Liedersammlung so eindeutig die
Funktion und Bestimmung der aufgeschriebenen Lieder notiert wurde: »Quia
interdum peregrini [...] volunt cantare et trepudiare, et etiam in
platea de die, et ibi non debeant nisi honestas ac devotas cantilenas
cantare, idcirco superius et inferius alique sunt scripte.« (Da es
vorkommt, daß die Pilger, [...], singen und tanzen wollen, und dies auch
tagsüber auf dem Kirchplatz, und sie dort nur sittliche und andächtige
Lieder singen dürfen, sind einige hier niedergeschrieben.) »Los set
goyts recomptarem« ist zudem eines von vier der zehn Stücke im Llibre
Vermell, die mit der Bezeichnung »a ball redon« (als Rundtanz) sogar
ganz eindeutig als Tanz gekennzeichnet sind.
3. Moniot d'ARRAS. Ce fut en mai
Die
Vorstellung der reinen, wahren Liebe, und die Sehnsucht nach der
fernen, unerreichbaren Geliebten ist ein häufiges, wenn nicht gar das
wichtigste Thema mittelalterlicher Trouvere- und Trobadorlyrik. In dem
hier eingespielten Stück wandelt der Dichter eines Morgens durch die im
Frühling frisch erblühte Natur, um sich von seinem Liebesschmerz und
seiner Sehnsucht abzulenken. Dabei erblickt er von weitem ein
Liebespaar, das sich selbstvergessen süßen Freuden hingibt. Verstohlen
schleicht er näher, wird aber von den beiden entdeckt. Sie rufen ihn an,
wer er sei und was er denn wolle. So aufgefordert, klagt er ihnen sein
Leid und seinen Kummer. Voller Verständnis und Mitgefühl trösten sie den
Schwermütigen und weissagen, das Gott ihm bald all jene Freuden
schenken würde, nach denen er begehrt.
4. Saltarello No. 4, London, British Lib. Add. 29987
Obwohl eine große
Vielzahl ganz unterschiedlicher Handschriften mit mittelalterlicher
Musik überliefert ist, gibt es doch nur recht wenige untextierte Stücke,
die darauf schließen lassen, dass es sich hierbei um Instrumentalmusik
handelt. Nur knapp 50 davon kann man als instrumentale Tänze
bezeichnen. Die meisten dieser Stücke haben die Form der »Estampie«. Der
hier eingespielte Saltarello, ebenfalls eine Variante der »Estampie«,
ist das vierte so bezeichnete Stück in einer Handschrift, die allein
mehr als 20 solcher instrumentalen Tänze enthält.
5. Herr NEIDHART. Der Widerdriess
Neidhart
ist für uns ein Glücksfall unter den mittelhochdeutschen Dichtern:
obwohl, oder womöglich weil seine Lieder die Prinzipien des klassischen
Minnesangs ad absurdum führen, wurden sie noch lange nach seiner
Wirkungszeit aufgeführt, erweitert und nachgeahmt. Vorteil: Ein
gewaltiges OEuvre ist unter seinem Namen überliefert und zwar mit
zahlreichen Melodien, was bei den Minnesängern eine absolute Ausnahme
darstellt. Nachteil: Aus der Überlieferungsfülle läßt sich kaum mehr
trennen, was originaler Neidhart und was Nachdichter ist, zumal die
meisten und vor allem die musikalischen Quellen erst sehr spät – teils
200 Jahre nach seinem Tod – verfaßt wurden.
Neidharts Erfolgsrezept
kommt in den beiden vorliegenden Einspielungen voll zur Geltung: Nachdem
in der jeweils ersten Strophe durch liebliche Natureingänge klassischer
Minnesang simuliert wird, weckt bereits die zweite Strophe Argwohn: die
sehr konkrete Hoffnung des Sängers auf Liebeserfüllung durch die
Auserwählte vermittelt den Anschein traditioneller Form, macht in ihrer
Direktheit aber schon stutzig. Ab der dritten Strophe ist alles klar:
gewisse bäuerlich-dreiste Unholde, »Dörper« genannt, betreten die
poetische Bühne und zetteln Ärger an – Neidhart ist in seinem Element
und die beiden Lieder betreten ab diesem Punkt unterschiedliche Pfade.
Die charmante Melodie des »widerdriess« täuscht darüber hinweg, daß
»Ärger« hier das Schlüsselwort ist und dem Lied auch gleich seinen Titel
verleiht. Ganze Strophen füllt Neidhart mit den Namensnennungen der
fiesen Kerle, die sich auf dem Tanzplatz einfinden, um sich sogleich in
ausufernden Prügeleien gegenseitig zu massakrieren – Unterhaltung pur:
das mittelalterliche Publikum wird auf seine Kosten gekommen sein.
6. Dansse Real, »Ms. Du Roi«
Ein
»königlicher Tanz« aus einer französischen Handschrift, die acht
Estampien und zwei weitere unbenannte Instrumentalstücke enthält.
Von
uns mit Einhandflöte und Trommel interpretiert - eine Besetzung die auf
unzähligen Abbildungen in mittelalterlichen Handschriften überliefert
ist
7. La tierche Estampie Roial, »Ms. Du Roi«
Leider weiß man überhaupt nicht, in welchem Zusammenhang
eine solche »Königliche Estampie« gespielt wurde. Welche Instrumente
hat man verwendet, von wem für wen, in welchem Tempo wurde das Stück
gespielt - das sind offene Fragen, die nie eindeutig beantwortet werden
können.
Uns gefiel die Vorstellung eines höfischen Tanzes, bei dem edle Damen und Herren gravitätisch einherschreiten.
8. Muget ir schouwen,
Walther von der VOGELWEIDE / Gautier d'ÉPINAL
Während
Walthers »Mailied« in der Neuzeit zu einem richtigen Schlager
avancierte, überliefern es die Quellen eher spärlich und vor allem sehr
uneinheitlich: Nur die Manessische Liederhandschrift enthält alle sechs
Strophen in der bekannten Reihenfolge. Ein Grund dafür findet sich in
der offenen Struktur des Gedichtes, die zu einer Bearbeitung geradezu
einlud: nachdem in den ersten drei Strophen ganz allgemein der Einzug
der warmen Jahreszeit gepriesen wird, wendet sich der Sänger für die
verbleibenden Verse direkt an eine Dame, um deren Gunst er sich
vergeblich bemüht.
In einer Mischung aus Vagantenlyrik und höfischer
Dichtung sind hier Frühlings- und Minnelied in einer Art
Baukastenprinzip zusammengestellt. Sie beziehen sich aufeinander,
könnten aber auch separat stehen – und entsprechend wurde das Lied schon
zu Lebzeiten Walthers weiterverarbeitet: die Verfasser der Carmina
Burana ergänzten jeden der beiden Liedteile um lateinische Strophen zu
zwei neuen Gedichten. In ihrer Handschrift, dem Codex Buranus, findet
sich auch der einzige Hinweis auf die originale Melodie, durch schlichte
Notenzeichen. Da Versmaß und grobe inhaltliche Bezüge mit dem Lied
»Quant je voi l’erbe menue« des Trouvères Gautiers d’Espinau
übereinstimmen, steht für die Aufführung immerhin eine zeit-genössische
Melodie zur Verfügung
9. Gautier de COINCY. Por mon chief reconforter
Da leider
überhaupt keine Spielmannsmusik überliefert ist, haben wir ein
Trouvere-Stück zu einem lauten und fröhlichen Tanz umarrangiert.
10. Francesco LANDINI. Ecco la primavera
(1335-1397)
Von
einem der bekanntesten italienischen Trecento-Komponisten stammt dieses
kleine Frühlingsstück. Interessant, dass in Italien bereits
komplizierte Mehrstimmigkeiten mit rhythmischen Verschiebungen Mode
waren, aber aus Deutschland für diese Zeit nur wenige, meist einstimmige
und nicht rhythmisch notierte Melodien überliefert sind.
11. Estampie »Retrove«,
Robertsbridge Codex
Eine
weitere Estampie, diesmal aus einer englischen Handschrift. Das Stück
wurde in einer italienischen Notationsform aufgeschrieben, einige
Hinweise innerhalb des Stücks sind dagegen französisch - man weiß nicht
genau wo dieses Stück entstanden ist. Es gilt allerdings als eines der
ersten notierten Orgelstücke.
12. Herr NEIDHART. Das saill
Nachdem die
ersten beiden Strophen von »Das Saill« den konventionellen Minnesang als
Hintergrundfolie zitiert haben, trägt der Auftritt der »Dörper« in
Strophe 3 eine deutlich persönlichere Note: Dem Sänger selbst soll es an
den Kragen gehen. Dieser aber, in seiner Ehre gekränkt, fordert einige
der unhöfischen Gesellen sogleich zum Zweikampf auf. Es kommt zu
eifrigem Handgemenge in dessen Verlauf auch eines der anwesenden
Bauernmädchen zuschaden kommt. Letztlich müssen natürlich die
Störenfriede selbst Blutzoll zahlen und auch das im Titel erwähnte Seil
kommt zur Anwendung: einem der besagten Burschen wird angedroht, daran
zu baumeln, sollte er seinen Umgang mit den Damen nicht bessern.
Besonders
die kurzen Verszeilen mit den eingängigen Schlagreimen und die in
Terzen springende Melodieführung machen dieses zu einem der
prägnantesten Lieder Neidharts – möglicherweise tanzte man sogar dazu.
13. Maestro PIERO. Chavalchando chon un giovine achorto [4:39]
»Als ich mit einem Jüngling hoch zu Pferde war / auf der
Suche nach einer Liebelei / kamen wir an eine blühende Wiese
...«
Eine
heitere Frühlingsromanze. Wichtiger als der Text scheint dem Maestro
hier die Melodie gewesen zu sein, in der sich zwei Stimmen, ähnlich wie
bei einem Kanon, einander hinterher »jagen«, weshalb wir das Stück
instrumental arrangiert haben.
14. Inter natos mulierum, Codex Engelberg 314
-
15. Martin CODAX. Mandad’ ei comigo
Ein
Mädchen eilt zu seiner Mutter: »Mein Liebster kommt! Nach Vigo! Mit
einem Weißen Schiff! Unter dem Banner des Königs!« Irgendwo zwischen
sehnsuchtsvoller Hoffnung, überschwänglicher Freude und leisem Zweifel
macht die junge Dame ihrem Herzen Luft. Am Meer, über das der Liebste
gefahren kommt.